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Die Wettinger Stimmbevölkerung hat am 9. Februar mit deutlicher Mehrheit entschieden, dass es das Budget 2020 inklusive Steuererhöhung von 5 auf 100 Prozent nicht goutiert. Der Kanton folgt dem Ruf der Bevölkerung. Das sagen Gemeindeammann Roland Kuster und die "IG Attraktives Wettingen" zum Beschluss.
Der Aargauer Regierungsrat belässt den Steuerfuss der Gemeinde Wettingen für das Jahr 2020 bei 95 Prozent. Er folgt damit dem Volksentscheid vom 9. Februar, als 73 Prozent der Stimmberechtigten - bei einer Stimmbeteiligung von 50 Prozent - das überarbeitete Budget und den neuen Steuerfuss an der Urne klar verwarfen.
Der Einwohnerrat hatte am 17. Oktober 2019 die erste Version des Budgets mit einem neuen Steuerfuss von 100 Prozent zurückgewiesen, weil nur 2 der 5 Prozente in den Schuldenabbau hätten fliessen sollen. Nach der Überarbeitung durch den Gemeinderat waren es vier Prozent, was die Mehrheit des Einwohnerrats befürwortete. Doch das Volk war nicht damit einverstanden und gab den Ball mit seinem Nein an der Urne an den Kanton weiter.
Es sei nicht Sache des Regierungsrats, sich über den Entscheid der Stimmberechtigten hinwegzusetzen, schreibt dieser in seiner Mitteilung - solange dies für das Budgetjahr aufgrund der gesetzlichen Grundlagen nicht notwendig sei. Die gesetzlichen Kriterien der Ausgabendeckung und des mittelfristigen Haushaltsgleichgewichts werden bei diesem Steuerfuss für das Budgetjahr 2020 erfüllt, so der Regierungsrat weiter.
Wettingens Gemeindeammann Roland Kuster (CVP) ist froh, dass die Gemeinde nun endlich über ein rechtskräftiges Budget verfüge: "Gleichzeitig nehmen wir auch mit Genugtuung zur Kenntnis, dass uns der Kanton eine einwandfreie Buchführung und eine umsichtige Finanzpolitik attestiert." Auf der anderen Seite seien sie enttäuscht, dass sich der Kanton bei seiner Beurteilung nur auf die kurzfristige Sicht beschränke und keine Aussagen zur Schuldensituation und den Bestrebungen, diese mit der Steuerfussanpassung abzubauen, mache.
"Der Gemeinderat kann nachvollziehen, dass sich der Kanton bei seiner Beurteilung auf die Gesetzesgrundlagen bezieht. Er ist aber insofern überrascht als der Kanton in der Vergangenheit bei der Beurteilung der Finanzkennzahlen von Wettingen die tiefe Selbstfinanzierung und die hohe Verschuldung immer wieder thematisiert hat."
Die „IG Attraktives Wettingen“, die sich im Januar formiert hatte, um die geplante Steuererhöhung aktiv zu bekämpfen, zeigt sich erfreut über den Beschluss des Regierungsrats: „Wir finden es bemerkenswert, dass er den Volksentscheid so hervorhebt und auch sieht, dass eine Steuererhöhung nicht notwendig ist“, sagt der Sprecher der IG, Einwohnerrat Orun Palit (GLP). Weitere Mitglieder der IG sind Martin Fricker (SVP), der ehemalige Einwohner- und Grossrat Thomas Bodmer (SVP) sowie Steuerexperte Andrea Bova (parteilos).
Der Entscheid beweist laut IG einmal mehr, dass der Gemeinderat und die meisten Parteien die Gefühle der Bevölkerung überhaupt nicht gespürt hätten und am Volk vorbeipolitisieren: „Der Regierungsrat ist dem Ruf der Bevölkerung gefolgt und hat nun den Rahmen für die weitere Politik Wettingens gesetzt“, so Palit.
Die 95 Prozent müssten nun die Basis für die nächsten Jahre sein, es dürfe nicht mehr am Steuerfuss geschraubt werden. Der Regierungsrat bestätige auch, dass man mittelfristig mit diesem Steuerfuss gut wirtschaften kann. So schreibt dieser in seiner Mitteilung: „Bei Anwendung dieses Steuerfusses im Budgetjahr und in den Planjahren 2021 bis 2023 resultiert in der massgebenden Periode von 2017 bis 2023 ein kumulierter Überschuss von rund 4,5 Millionen Franken“. Damit sei das Kriterium des mittelfristigen Haushaltsgleichgewichts erfüllt.
Trotzdem teilt der Regierungsrat die Ansicht des Gemeinderats, dass die Finanzlage der Gemeinde Wettingen trotz ausgeglichenem Budget 2020 zur Sorge Anlass gäbe – vor allem mit Blick auf die über einen langen Zeitraum tiefe Selbstfinanzierung der Investitionen und dem daraus resultierenden starken Anstieg der Verschuldung.
Dass der Steuerfuss weiterhin 95 und nicht wie geplant 100 Prozent beträgt, soll nach Meinung der IG auch auf die bereits ausbezahlten Lohnerhöhungen von 0,8 Prozent für die Verwaltungsangestellten (die AZ berichtete) Einfluss haben: „Diese müssen nun wieder rückgängig gemacht werden“, sagt Palit. Zu den Lohnerhöhungen äussert sich der Regierungsrat in seiner Mitteilung nicht. Für Palit ist aber klar: „Da nun auf der Einnahmeseite nicht mehr Geld fliessen wird, bleibt der Gemeinde nichts anderes übrig als auf der Ausgabenseite zu sparen. Die Verzichtsdiskussion muss jetzt wirklich stattfinden.“
Für Gemeindeammann Kuster bleiben die Lohnerhöhungen hingegen unangetastet: "Diese sind mit dem Budget 2020 nun rechtskräftig", sagt er. Die Steuerrechnungen würden aber wie bereits kommuniziert mit den definitiven Rechnungen angepasst. Beim Budget seien auch keine weiteren Entscheide mehr zu treffen, "ausser einer Würdigung möglicher Auswirkungen der Coronapandemie auf die Ausgaben 2020", so Kuster weiter. Der Gemeinderat werde für die Erarbeitung des Budgets 2021 in den kommenden Wochen entsprechende Richtlinien erlassen. Diese werden den diesjährigen Prozess würdigen und auch die Auswirkungen der Coronapandemie enthalten.
Ob der Regierungsrat den Budget-Entscheid einstimmig gefällt hat, kommuniziert der Kanton nicht. Hingegen ist bekannt, dass Regierungsrat Markus Dieth (CVP) in den Ausstand getreten ist. Dieth war von 2008 bis 2016 Gemeindeammann Wettingens.